Von der Schwäbischen Alb ins Silicon Valley: Wie ein deutscher Designer die Zukunft der Mobilität gestaltet – vom legendären Google Self-Driving Car bis zu autonomen Flugtaxis, die in 1-2 Jahren Realität werden könnten.
Leonard Schmedding, KI-Experte und Co-Founder von Everlast AI, sprach mit Philipp Haban, Designchef von Joby Aviation und einem der Pioniere autonomer Mobilität. Haban hat am kugelrunden Google Self-Driving Car mitgearbeitet, hält über 30 Patente in der Advanced Mobility und gestaltet heute bei Joby Aviation – dem weltweit führenden Flugtaxi-Unternehmen – die dritte Dimension der Fortbewegung. Im Gespräch ging es um die letzten Hürden autonomer Fahrzeuge, die Realität fliegender Autos, KI im Fahrzeugdesign und die Frage, warum echte Innovation nur außerhalb Deutschlands möglich scheint.
Vom Lego-Baumeister zum Mobilitätspionier
Habans Geschichte beginnt auf der Schwäbischen Alb, in einem 1000-Einwohner-Dorf in der Nähe von Ulm. "Meine Karriere hat mit Lego begonnen, mit Carrerabahn – wie bei jedem kleinen Jungen", erzählt er. Die Mutter Architektin, der Vater aus der Automobilindustrie – Haban wuchs umgeben von Gestaltungsdrang und technischer Faszination auf.
Der Wendepunkt: Ein Praktikum bei Diana Trucks in den USA, wo er "wie ein Besessener" an großen Lastwagen und Zukunftsvisionen für Transportation arbeitete. Das Portfolio, das dabei entstand, brachte ihm einen der begehrten zehn Studienplätze am Art Center College of Design in Los Angeles ein – einer der selektivsten Design-Schulen der Welt.
Die Schule der Härte: "Zweimal die Woche haben wir All-Nighters geschoben, auf dem Tisch geschlafen oder in den Autos. Wenn man schlafen ging, wusste man: Die Klassenkameraden arbeiten weiter." Dieser Druck, diese Competition, diese Mentalität sollte Habans gesamten Weg prägen.
Google X: Als Science-Fiction Realität wurde
Dann kam der Anruf, der alles veränderte. Google X – die geheime Moonshot Factory, bei der man sich nicht bewerben konnte, sondern handselektiert wurde.
"Es war wie ein Science-Fiction-Film, der plötzlich Realität wurde. Plötzlich saß ich in unmarkierten Gebäuden mit Rocket Scientists, AI-Pionieren, NASA-Spezialisten. Ein komplett anderes Umfeld. Und da war absolut kein Ego dabei – wir hatten einfach eine Mission."
Die Mission: Das erste vollautonome Fahrzeug der Welt zu entwickeln. Das kugelrunde Google Self-Driving Car, das heute als Meilenstein der autonomen Mobilität Geschichte geschrieben hat.
Vertrauen durch Design
"Sergio Brin kam oft in unser Office und sagte: Das muss freundlich sein, approachable", erklärt Haban. "Natürlich hätte ich gerne ein Batmobil auf die Straße gesetzt. Aber es war die richtige Entscheidung – cute, approachable, freundlich."
Warum? "Die Öffentlichkeit kannte Google nur als Webseite, nicht als Produkt. Wir mussten Google erstmals in 3D übersetzen – und Vertrauen schaffen für Roboter auf der Straße."
Joby Aviation: Die dritte Dimension wird Realität
Heute arbeitet Haban an etwas noch Größerem: Flugtaxis, die die dritte Dimension für perfekte Transportation freischalten.
Was ist ein eVTOL?
Ein Electric Vertical Takeoff and Landing Vehicle ist ein Hybrid zwischen kleinem elektrischen Flugzeug und Hubschrauber. "Eine aerodynamische Kabine mit Flügeln und sechs Rotoren", erklärt Haban.
Das revolutionäre Konzept:
- Beim Abheben tragen sechs Rotoren das Gewicht
- Im Cruise-Mode drehen sich die Rotoren um 90 Grad
- Das Flugzeug wird dann von den Flügeln getragen – extrem effizient
Der Unterschied zum Helikopter: "Bei einem Helikopter trägt der große Rotor das gesamte Gewicht – auch bei langen Distanzen. Das ist sehr ineffizient. Wir schweben auf den Flügeln."
Das Noise-Problem gelöst: "Unsere Blades sind so designt, dass sie super leise sind. Man kann sie kaum hören, wenn das Flugtaxi über eine Stadt fliegt."
Wann kommen Flugtaxis wirklich?
Die brennende Frage: Wann werden fliegende Autos Realität?
Habans Antwort überrascht: "Wir fliegen bereits regelmäßig Teststrecken. Noch nicht für die Öffentlichkeit, aber ich glaube, die Gesellschaft wird sehr bald – schneller als man jetzt erwartet – mit fliegenden Autos zur Arbeit gehen."
Zeitrahmen: "In den nächsten 1-2 Jahren."
Die letzten 1% sind das Bottleneck
Sebastian Thrun hatte es bereits im Interview mit Leonard Schmedding erklärt: Die letzten 0,1% Sicherheit sind das Bottleneck bei autonomen Fahrzeugen. Haban bestätigt:
"Die Technik funktioniert oft zu 99%, aber die letzten 1% – da geht die ganze Energie rein. Das ist der absolute letzte Schritt. Sobald Consumer einsteigen können, muss alles stimmen. Die letzten Millimeter, die Software – alles muss perfekt sein."
Bei Flugtaxis kommt hinzu:
- Hand-in-Hand-Arbeit mit der FAA
- Aufbau der gesamten Infrastruktur (Vertiports)
- Vertrauen bei Städten und Nutzern gewinnen
- Sicherheitszertifizierungen in völlig neuer Fahrzeugkategorie
"Du baust nicht nur das Fahrzeug – du baust das ganze Ökosystem drumherum."
Warum Taxi statt Privatbesitz?
Business Economics: "Der Business Use Case macht am meisten Sinn, wenn man sich in ein Netzwerk wie Uber oder Lyft einklinkt. Man hat eine riesige User Database, die man direkt unlockt."
Die Vision der nahtlosen Mobilität:
- Uber zum Vertiport in Manhattan
- Flugtaxi nach JFK
- Langstreckenflug nach London
- Wieder Uber zum Hotel
"Super seamless mobility experience."
Das Privatbesitz-Problem: "Wenn du das an Privatmenschen verkaufst, müssen die eine Fluglizenz bekommen. Dürftest du dann überall über Städte fliegen? Das ist eine ganz andere Geschichte."
Der Innenraum wird zur Bühne
Was passiert mit dem Innenraum, wenn Menschen nicht mehr selbst fahren müssen?
Habans Vision: "Vor allem in Robotaxis wird der Innenraum zur Bühne – zu einer schönen Lounge für Entspannung, Fokus und Verbindung. Das bedeutet adaptive Räume, personalisierte Erlebnisse und integrierte Interfaces."
Die Uber-Erfahrung: Zu langweilig?
Bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge für Uber machte Haban eine überraschende Entdeckung:
"Das war ziemlich uneventful, ziemlich langweilig. Man sitzt im Auto wie in einem Zug mit einem richtig guten Fahrer – und dann passiert nicht mehr viel."
Die Lösung: "Wir haben eine Selfie Cam eingebaut und mit anderen Tricks gearbeitet, um eine pleasant driving experience zu schaffen."
Das autonome Fahr-Problem: "Die Fahrzeuge fahren nicht über dem Tempolimit, machen keine Crazy Manöver. Sie fahren wie ein richtig guter Driver – und das ist manchmal uneventful."
KI im Fahrzeug vs. KI am Bildschirm
Die meisten kennen KI nur als ChatGPT. Aber wie setzt man KI in Fahrzeugen ein?
Habans Perspektive: "In meinem Bereich benutze ich KI ziemlich viel für Research oder um den ersten Schritt zu visualisieren. Aber die letzten 50% kommen dann wieder auf die individuelle Fachkraft zurück."
Der kritische Unterschied: "Bei ChatGPT können Fehler passieren. Im Fahrzeug dürfen keine Fehler passieren. KI ist ein richtig guter Anfangspunkt, spart Zeit – aber für den letzten Schritt wird die Fachkraft eingesetzt."
Silicon Valley Standard: "Jede Firma, die hier ansässig ist, experimentiert mit KI in ganz verschiedenen Bereichen. Aber KI kann man nicht mehr wegdenken."
Die Reaktion der Öffentlichkeit: Von Skepsis zu Begeisterung
"Die meisten Waymos, die hier rumfahren – die Touristen kommen, sind mega aufgeregt, machen Selfies, filmen die ganze Fahrt. Schon ziemlich cool zu sehen, wie die Welt sich auf die neue Technologie freut."
Von Science-Fiction-Träumen vor 15 Jahren zur Realität auf den Straßen – und bald in der Luft.
Bürokratie: China, USA, Deutschland
Habans klare Haltung: "Die verschiedenen Länder sollten Innovation pushen – natürlich in einem kontrollierten Raum. Viel Talent geht in die Länder, die Innovation pushen. Man muss Freiräume schaffen, wo Fehler passieren können."
Die Beispiele:
- China: Private Inseln für Tests – "Super cool, da kann alles Mögliche in einem kontrollierten Bereich passieren"
- USA: Airfields für tägliche Tests mit Dummies
- Deutschland: ...?
Das Fazit: "Innovation sollte gepusht werden. Ansonsten liegt man natürlich hinten dran."
Karrieretipps: Wer sollte nach Silicon Valley gehen?
Haban ist der erste Arbeitnehmer (nicht Gründer) aus dem Silicon Valley im Everlast AI-Interview. Seine Perspektive ist Gold wert für alle, die nicht selbständig sein wollen, aber trotzdem im Tech-Mekka arbeiten möchten.
Mut ist wichtiger als ein Businessplan
"In Deutschland wollen viele zuerst alles durchdenken. In den USA heißt es: Mach mal, lerne, skaliere."
Habans Rat: "Wenn du fühlst, dass dein Spielfeld größer ist als nur Deutschland – dann guck dir Silicon Valley an. Geh zu dem hin, wo du wirklich was Neues bauen willst."
Deutschland braucht keine Flüchtigen, sondern Brückenbauer
"Ich habe immer noch meinen Draht zu Deutschland. Ich liebe Deutschland. Aber hier passiert so viel – tagtäglich."
Das Silicon Valley Umfeld: "Alle meine Freunde sind Gründer, haben Startups gebaut. Ich bin umgeben von Founder Environments."
Die Energie: "Jedes Mal, wenn ich in die Offices gehe – die Energie, der Spirit, ein neues Produkt von Grund auf neu aufzubauen – das ist überragend. Das kann man kaum beschreiben."
Die harte Wahrheit: Es ist nicht für jeden
"Es ist nicht für jeden. Da wird dir keiner die Hand halten. Du musst der Driver sein."
Das Tempo: "Was ein Jahr woanders ist, ist eine Woche dort. Mega intensiv, aber auch super rewarding."
Die Belohnung
"Von einer Idee auf einem kleinen Stück Papier – plötzlich wird die Vision zum fertigen Produkt. Du bist 8 Jahre in dem Silo, und dann ist es plötzlich da. Jeder ist fasziniert von der Technologie, die du gebaut hast. Das kann man kaum in Worte fassen."
Fazit: Die Zukunft fliegt – mit oder ohne Deutschland
Philipp Habans Geschichte ist inspirierend und ernüchternd zugleich.
Inspirierend: Ein Junge von der Schwäbischen Alb, der Monster zeichnete und mit Lego spielte, designt heute die Zukunft der Mobilität. Der Beweis, dass deutsche Kreativität und Ingenieurskunst Weltklasse sind.
Ernüchternd: Er musste nach Silicon Valley gehen, um diese Zukunft zu bauen. Nicht, weil Deutschland keine guten Universitäten hat. Sondern weil dort die Mentalität, die Freiräume und der Mut fehlen, wirklich Großes zu wagen.
Leonard Schmedding fasst das Gespräch so zusammen:
"Während Deutschland über Regulierung diskutiert, bauen deutsche Ingenieure im Silicon Valley bereits die Mobilität von übermorgen. Die Frage ist nicht, ob diese Zukunft kommt – sondern ob Deutschland dabei ist, oder nur zuschaut."
Zum Interview mit Philipp Haban
Das Gespräch mit Philipp Haban bietet noch weit mehr spannende Einblicke: von seinem Weg aus der Schwäbischen Alb zum Google X Project über die Design-Philosophie autonomer Fahrzeuge bis hin zur konkreten Timeline für kommerzielle Flugtaxis. Das gesamte Interview ist jetzt in voller Länge auf YouTube verfügbar.